"Airbag"-Westen
Alternative oder Ergänzung?
Airbag-Westen für Reiter gibt es seit mindestens 1999. Anfang dieses Jahrhunderts waren solche Westen absolute Exoten, seit einigen Jahren sind jedoch Airbagwesten zunehmend im Vielseitigkeitssport als zusätzlicher Schutz (ergänzend zu einer normalen BETA III Sicherheitsweste) zu sehen. Außerdem werden Reiter-Airbags aber inzwischen auch als Alternative zu herkömmlichen Sicherheitswesten im Freizeitbereich bzw. beim Springen eingesetzt.
Das Prinzip dieser Westen ist ebenso einfach wie bestechend: Im Normalzustand eher an eine normale Reitweste erinnernd, engt sie nicht ein und erlaubt volle Bewegungsfreiheit. Im Inneren der Weste sind jedoch diverse Luftkammern und Schläuche installiert sowie eine Druckluftpatrone. Letztere besitzt einen "Zündmechanismus", bei dessen Auslösung die Luftkammern blitzschnell aufgeblasen werden und so einen Sturz sehr weich abfangen. Zu diesem Zweck wird eine Spiralschnur von der Weste am Sattel befestigt. Dabei muss natürlich auf die richtige Länge geachtet werden. Denn bei einem Sturz, wenn sich der Reiter vom Sattel entfernt, löst die dann gespannte Schnur den Aufblasvorgang aus, und noch bevor der Reiter auf dem Boden auftrifft, ist die Weste vollständig aufgeblasen und bietet dabei einen rech umfassenden Schutz. Das dicke Luftpolster dämpft den Aufprall sehr gut ab, zudem sind diese Airbags so konstruiert, dass auch im Nacken und Hüftbereich ein Luftpolster entsteht. Dadurch hat man auch in diesen Bereichen einen guten Schutz, welchen eine feste Sicherheitsweste prinzipbedingt niemals bieten kann.
Nach einem Sturz muss nur die Druckluftpatrone erneuert werden, die Weste kann dann - so sie keine Beschädigung aufweist - gleich wieder verwendet werden.
Diese Sicherheit hat natürlich ihren Preis. Airbag Produkte für Reiter kosten je nach Hersteller und Ausführung ca. 400..600 Euro, hinzu kommen die Kosten für Ersatzkartuschen nach einem Sturz. Diese Summe mag vielen Leuten als sehr (zu) hoch erscheinen, man sollte jedoch bedenken: Hier geht es um das Leben und die Unversehrtheit des Reiters! Viele Pferdebesitzer geben oft und gerne viel Geld aus für neue Schabracken und Decken, für neue Trensen und neue Bekleidung, auch wenn dies oft gar nicht nötig wäre. - Vielleicht an dieser Stelle mal etwas einsparen und dafür in die eigene Sicherheit investieren !?
Reiter-Airbags als Ergänzung zu normalen Sicherheitswesten
Bei Geländeprüfungen sind Sicherheitswesten nach EN 1358 bzw. BETA Standard vorgeschrieben. Eine Airbagweste kann diese nicht ersetzen und darf nur zusätzlich verwendet werden. Gerade bei großen Vielseitigkeitsturnieren ist dies inzwischen sehr häufig zu sehen, da ein Airbag einfach eine ganze Menge zusätzlicher Sicherheit bietet.
Neben der deutlich verbesserten Stoßdämpfung bieten Airbags auch guten Schutz im Nacken und Hüftbereich, den eine klassische Sicherheitsweste niemals bieten kann. Auch bei extremen Stürzen (Reiter wird vom Pferd überrollt) steigen die Überlebenschancen bei Verwendung eines zusätzlichen Airbags deutlich.
Im Freizeitbereich (oder auch im Parcour) mag eine Kombination aus BETA III Sicherheitsweste und Airbag als übertrieben erscheinen. Wem hier die Sicherheit einer Airbag-Weste allein (siehe unten) nicht genügt, der kann als Kompromiss eine Airbagweste mit einer dünnen Sicherheitsweste nach BETA II oder einem Rückenprotektor kombinieren.
Airbag-Westen als Alternative zu herkömmlichen Sicherheitswesten
Airbagweste von Helite®
Foto © M. Grebler
Viele Reiter haben Vorbehalte gegenüber normalen Sicherheitswesten. Man schwitzt zu sehr darin, sie seien unbequem, man fühle sich eingeengt, könne sich nicht genug darin bewegen, könne sich im Falle eines Sturzes nicht abrollen usw. Auch wenn meiner Meinung nach dieser Argumente oft auf Einbildung, falschen Vorstellungen oder (sehr häufig) billigen und/oder unpassenden Sicherheitswesten beruhen, man kann sie auch nicht ganz ignorieren.
In jedem dieser Fälle bietet eine Airbagweste eine gute Alternative: Die Airbags sind (je nach Modell) sehr luftig, schränken die Bewegung in keinster Weise ein und sind daher auch recht bequem zu tragen. Tatsächlich werden Airbagwesten seit ein paar Jahren unter diesen Gesichtspunkten oft in deutschen Reiterforen diskutiert.
In vielen Flällen bietet eine Airbagweste (ohne zusätzliche feste Sicherheitsweste) tatsächlich sogar einen besseren Schutz als eine feste Sicherheitsweste. Die Stoßdämpfung ist deutlich höher, man landet wie auf einem Luftkissen, und außerdem - noch wichtiger - bietet eine Airbagweste auch einen Schutz im Nacken und Hüftbereich.
Allerdings gilt auch hier wie eigentlich überall: Die in jeder Situation und für alle Anforderungen perfekte Lösung gibt es nicht!
Airbagwesten können natürlich keinen Schutz während des Aufsteigens oder Absteigens vom Pferd bieten, wenn die Auslöseschnur noch nicht oder nicht mehr eingeklinkt ist. Und solche Unfälle kommen durchaus vor.
Eine Airbagweste ist keine geschlossene Weste sondern besteht aus "Luftschläuchen", welche aufgeblasen werden und den Aufprall dämpfen. Denkbar ist es dabei allerdings, dass beim Aufprall ein großer Stein, die Ecke eines Hindernisständers usw. genau zwischen die Luftpolster gerät und Verletzungen verursacht.
Außerdem sind Fehlfunktionen auf Grund von Fehlbedienung, Beschädigung oder anderen Ursachen nicht völlig auszuschliessen.
Um auch in solchen Fällen noch Schutz zu haben muss, wie weiter oben beschrieben, eine Airbag-Weste mit einer herkömmlichen Sicherheitsweste (oder zumindest einem Rückenprotektor) kombiniert werden.
Ein in meinen Augen ganz wichtiger Punkt, wenn man eine Airbagweste "solo" benutzt:
Man sollte sich vorher im Klaren sein darüber, was macht man nach einem Sturz? Beim Ausreiten im Gelände, bei einer Springstunde.... ?
In der Regel wird man hoffentlich nicht ernsthaft verletzt sein und weiter reiten wollen und/oder müssen. In dieser Situation dann ohne Schutz weiter zu reiten, dürfte in vielen Fällen keine wünschenswerte Option sein. Man kann natürlich sagen, man wird wohl nicht gleich wieder stürzen, in der Praxis ist diese Wahrscheinlichkeit sehr von der Situation abhängig. Aber meist reitet man ja mit Sicherheitsweste bzw. Airbag, weil man eben diesen zusätzlichen Schutz haben will. Im Gelände kann man vielleicht im Schritt nach Hause reiten oder vielleicht sogar führen. Eine Springstunde nach einem Sturz abzubrechen, wäre allerdings höchst unklug für Pferd und Reiter.
Man müsste also immer eine Ersatzpatrone (samt Werkzeug) mit sich führen oder in greifbarer Nähe haben. Hat man in dieser Streßsituation dann die nötige Ruhe und Sorgfalt, um den (meist nicht ganz trivialen) Patronenwechsel sicher durchzuführen? In jedem Fall braucht man jemanden, der das Pferd so lange hält.
Das sind einfach Überlegungen, die man anstellen sollte, wenn man einen Airbag "solo" benutzt. Wie die Antworten im Einzelfall aussehen, muss jeder für sich entscheiden. Aber ich finde es wichtig, vorher darüber nachzudenken.
Darüber hinaus gibt es bei der Verwendung von Airbag-Westen einige Dinge zu beachten gegenüber normalen Sicherheitswesten:
- Meiner Meinung nach sollte jeder, der eine Airbagweste benutzt, diese einmal versuchsweise auslösen. Weniger um die Funktion der Weste zu testen als vielmehr, um selbst einmal die Funktion "am eigenen Leibe" erlebt zu haben und - noch wichtiger - um den nachfolgenden Wechsel der Patrone geübt zu haben.
- Um nach einem Sturz sicher weiter reiten zu können, sollte immer eine Ersatzpatrone samt dem für den Wechsel nötigen Werkzeug (!) greifbar sein. Daran sollte man insbesondere denken, wenn man eine Airbagweste als Schutz beim Ausreiten verwendet.
- Man darf nicht vergessen, nach dem Aufsteigen die "Reißleine" am Sattel einzuklinken, da sonst natürlich kein Schutz möglich ist.
- Beim Absteigen sollte man nicht vergessen, sich wieder vom Sattel abzuhängen, sonst löst die Weste beim Absteigen aus. (Kostet nicht nur eine neue Patrone, sondern kann unter Umständen das eigene oder eventuell auch andere Pferde in der Nähe erschrecken.)
- Die Auslöseschnur muss am Sattel befestigt werden, dies muss man ggf. bei Verwendung fremder Sättel (Reitschule, Reiturlaub, Reiten fremder Pferde) berücksichtigen. Eventuell sollte man extra Zubehör kaufen, um nicht immer umbauen zu müssen. Je nach Sattel muss eventuell die Länge der Auslöseschnur jeweils neu eingestellt werden.
- Eine Airbag-Weste sollte über sämtlicher anderer Kleidung getragen werden. Ausnahmen sind eventuell bei sehr weiten Jacken (Regenjacke) möglich, wenn sichergestellt ist, dass diese das Aufblasen des Airbags nicht behindern. Viele Airbagwesten sind jedoch in einem weiten Bereich verstellbar, so dass sie sowohl mit T-Shirt als auch mit dickerer Jacke darunter getragen werden können.
Aus diesem Grund halte ich eine Airbag-Weste mit eingebautem Rückenprotektor für eine nicht so günstige Lösung, da diese einen deutlich reduzierten Verstellbereich bietet und auch nicht sinnvoll über einer dicken Jacke (Ausritt im Winter!) getragen werden kann.
- Vorsicht bei Flugreisen: Die Mitnahme der nötigen Druckluftpatronen könnte Probleme bereiten. Wer also in einen Reiturlaub fliegt und dabei seine Airbag-Weste mitnehmen möchte, sollte sich frühzeitig entsprechend informieren!
Es gibt übrigens (bis jetzt) keine Norm für Airbag-Westen im Reitsport. Dementsprechend sind die meisten für Reiter angebotenen Airbag-Westen auch nicht nach einer EN-Norm geprüft.
Sofern im Zusammenhang mit Airbag-Westen von einer Normprüfung die Rede ist, handelt es sich um eine Norm für Airbag-Schutzwesten im Motorsport.
Hersteller bzw. Anbieter von Airbag Westen für den Reitsport:
Airbagweste von Helite®
Foto © M. Grebler
Helite ist ein bekannter Hersteller von Airbag-Westen aus Frankreich. Diese Produkte sind seit vielen Jahren weltweit im Vielseitigkeitssport im Einsatz und bewährt. Allerdings wurden diese Westen bis 2012 unter der Marke und von der Firma "Point-Two" angeboten.
Neben dem "normalen" Airbag gibt es Softshelljacken und Westen mit herausnehmbaren Airbag. Somit kann der selbe Airbag mit verschiedenen Westen oder Jacken kombiniert werden. (Allerdings immer nur in der selben Größe.)
Baugleich bzw. von Helite hergestellt sind die bei Ekkia im Vertrieb befindlichen Airbag-Westen "Equi-Thème Air Jacket".
Die Firma Hit-Air war zumindest früher in Deutschland unter Freizeitreitern recht bekannt. Aktuell habe ich zu diesen Westen keine weiteren Informationen.
Unter der Marke "Point-Two" wurden bis 2012 die Airbag-Produkte von Helite vertrieben. Inzwischen baut Point-Two eigene Airbags. Nähere Produktinformationen finden Sie auf der Webseite. Ich selbst kann zu diesen Westen aktuell nichts sagen.
Genauere Informationen zu den Airbag Produkten von USG werde ich in absehbarer Zeit hier wieder veröffentlichen.
Bezugsquellen Versandhandel
Die Airbag Produkte von Helite und Point-Two sind u.a. erhältlich bei
WILLIAMS Horse & Wear
Bei diesem Händler sind mittlerweie auch Airbags weiterer Hersteller im Angebot, die mir persönlich nicht bekannt sind.
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Soweit nicht anders angegeben © Martina Grebler